Gepostet am 05/17/22 7:26 PM · von Finde deine Balance · in Allgemein · Schlagwörter:

„Liebe dich selbst und es ist egal wen du heiratest“, das war vor Jahren mal ein Buchtitel, der mir in der Buchhandlung begegnet ist. Und es zeigt, wie wichtig Selbstliebe ist – auch wenn mir persönlich trotzdem nicht egal ist, mit wem ich verheiratet bin.

Selbstliebe liegt voll im Trend. Insbesondere auf SocialMedia gibt es diverse Accounts die uns täglich ihre Tipps in Sachen Selbstliebe weitergeben. Und auch ich bin mir sicher, dass wir nur dann wirklich lieben können, wenn wir lernen uns selbst zu lieben. Nur leider, fällt das vielen von uns sehr schwer.

Selbstliebe erscheint uns häufig wie ein Egotripp im Wellnessland. Je nachdem, wie wir geprägt sind, widerstrebt uns allein schon das Wort. Sofort kommen Sätze in den Kopf wie: „Das darf ich nicht!“ „Ich bin nicht liebenswert.“ „Ich kann mich nicht lieben.“ Oder das berühmte „Ich bin nicht gut genug.“

Aber es gibt einen Ansatz, der uns ganz behutsam in die Selbstliebe bringen kann, alltagsnah, praktisch, einen Ansatz, der nicht im Wellnessschaumbad kleben bleibt, sondern die großen und kleinen Untiefen unseres Lebens genauso mit einbezieht, wie die Freuden, die wir uns bereiten dürfen.

Das Zauberwort lautet „Selbstmitgefühl“

Der Ansatz ist erst wenige Jahre alt und geht insbesondere auf Forschungsarbeiten von Kristin Neff zurück, die ein ganz wundervolles und umfangreiches Buch mit dem Titel „Selbstmitgefühl“ veröffentlicht hat, das ich nur wärmstens empfehlen kann.

Was ist Selbstmitgefühl?

Selbstmitgefühl bedeutet, dass wir uns selbst mit Gefühl begegnen. Dass wir also mitfühlend, mit uns selbst sind. Egal, wie wir uns gerade fühlen, egal was gerade los ist. Mitgefühl ist die Grundlage für Liebe, erscheint mir aber wesentlich leichter zugänglich als das große L-Wort. Das bedeutet, dass wir mit uns selbst genauso mitfühlend umgehen, wie wir es mit einer engen Freundin tun würden. Heißt: wir hören auf, uns innerlich selbst fertig zu machen. Wir ziehen der permanent nörgelnden inneren Stimme den Stecker. Denn sind wir mal ehrlich: angenommen, deine Freundin hat heute eine Kündigung im Briefkasten. Wie reagierst du da? Was sagst du ihr? Sagst du so etwas wie: das war ja eh klar, dass du den Job nicht packst. Du bist so ein Looser. Du kriegst nichts auf die Reihe im Leben.? Wahrscheinlich nicht. Sehr wahrscheinlich aber, würdest du das oder etwas ähnliches zu dir selbst sagen, wenn du die Kündigung in deinem Briefkasten hättest. Wir gehen mit uns selbst super hart ins Gericht. Verzeihen uns nichts. Hauen nochmal extra drauf, wenn wir gerade Schwierigkeiten haben. Sehen konstant das Schlechte, Unzulängliche ins uns, statt unsere Stärken und unser Potential in den Fokus zu rücken.

Wenn wir Mitgefühl mit uns selbst haben, bedeutet das erst einmal, dass wir bewusst hinschauen, wie es uns gerade geht, wie wir uns fühlen. Dass wir die Gefühle, die wir vorfinden ernst nehmen, sie dasein lassen und uns in schwierigen Gefühlen beistehen, anstatt uns selbst zusätzlich fertig zu machen. Es bedeutet, dass wir in einem schwierigen Moment zu uns selbst sagen können: „Wow, das ist gerade wirklich eine schwierige Situation. Das fühlt sich gerade nicht leicht an.“ Wir halten uns praktisch selbst die Hand. So erleben wir uns selbst als verlässlichen, treuen Partner – was immer auch kommt. Und ja, ich weiß, was du jetzt vermutlich sagen willst: „Das ist doch reines Selbstmitleid!“

Der Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid

Selbstmitgefühl hat nichts mit Selbstmitleid zu tun. Beim Selbstmitleid leiden wir innerlich quasi doppelt. Wir leiden mit dem Leiden das wir haben nochmal mit. Versinken darin, suhlen uns darin. „Mir geht es ja so schlecht. Die Welt ist gegen mich. Alle anderen sind wirklich so gemein.“ Das bedeutet auch, dass wir Opfergeschichten über uns erzählen. Das Ergebnis von Selbstmitleid ist Passivität und ein Verharren in unangenehmen Gefühlen. Das ist beim Selbstmitgefühl nicht der Fall. Beim Selbstmitgefühl geht es darum, die Gefühle zu sehen und anzuerkennen, wie es uns damit geht. Im nächsten Schritt geht es darum, uns aktiv beizustehen und im übernächsten Schritt zu schauen: „Was brauche ich jetzt? Und wie möchte ich auf die aktuelle Situation antworten?“ Ein Gefühl wahrzunehmen, heißt nicht gleichzeitig darunter zu leiden. Es bedeutet Schmerz zu sehen und zu spüren der da ist. Und das ist ganz wichtig. Denn „Feelings are for feeling.“ Gefühle, wollen gefühlt, gesehen, beachtet werden. Sie haben Botschaften für uns, die wichtig für uns sind. Wenn wir diese Botschaften wahrnehmen, dann verschwinden Gefühle auch wieder und wir können angemessen reagieren.

Was heißt das konkret?

Als Mama ist Selbstmitgefühl für mich zum absoluten Gamechanger geworden. Wie es im Leben nunmal so ist, gibt es auch als Mama immer wieder Situationen, in denen wir die Beherrschung verlieren, ungeduldig mit unseren Kindern sind, laut werden. Sofort danach tut uns unser Verhalten leid, wir schämen uns vielleicht dafür und gehen sofort dazu über uns selbst innerlich richtig fertig zu machen „Was bist du für eine unfassbar schlechte Mutter? Wie kann man so mit seinen Kindern reden? Nichtmal das kriegst du hin! Weißt du eigentlich, was du mit deinem Gemotze beim Kind auslöst?“ Alleine beim Lesen dieser Sätze kannst du gerade mal rein fühlen, wie es sich anfühlt. Richtig. Es fühlt sich furchtbar an. Unser Frust, unsere Scham, unsere Wut (diesmal über uns selbst) werden noch größer. In der Konsequenz bleiben wir länger in diesen Gefühlen hängen und der Tag wird vermutlich durchzogen sein von diesem Gefühl und unser weiteres Handeln im Griff haben. Wir werden weiter mit unseren Kindern motzen, diesmal aus unserem eigenen inneren Frust heraus.

Alles auf Anfang: Stell dir nun vor, du hast gerade mal wieder als Mama die Beherrschung verloren und anstatt jetzt mit dir selbst weiter zu schimpfen sagst du dir folgendes: „Mann, jetzt habe ich schon wieder rumgeschrien. Das fühlt sich so schlecht an. Das ist gerade wirklich kein leichter Moment. Ich bin noch müde von der Nacht und die Pandemie strapaziert meine Nerven so sehr. Es ist gerade nicht leicht für mich die Mama zu sein, die ich gerne sein möchte.“ Fühl da mal rein und überlege, wie es von hier aus weitergehen könnte. Richtig. Es ist sofort viel mehr Energie frei, um von dort einen neuen Weg einzuschlagen. Du hast damit nichts beschönigt. Du hast aber in dich selbst reingefühlt, wie es dir geht. Warum es zu der Situation gekommen ist. Und du wirst ein Gefühl dafür bekommen, was du brauchst. Es wird dir von hier aus viel leichter fallen dich bei deinem Kind zu entschuldigen und es wird dir leichter fallen tief durchzuatmen und deinen Tonfall zu ändern, während das obige Beispiel dermaßen viel zusätzlichen Frust und Traurigkeit erzeugt, die uns weiter motzen lassen.

Macht Selbstmitgefühl faul und schwach?

In unserer Gesellschaft sind wir nicht auf Selbstmitgefühl geeicht und deswegen sind die ersten Befürchtungen in Sachen Selbstmitgefühl: „Ja, wo komme ich denn da hin, wenn ich mich jetzt so „verhätschele“, wenn ich mich nicht mehr antreibe, dann läuft ja alles aus dem Ruder. Dann strenge ich mich wahrscheinlich im Job nicht mehr genug an, dann lasse ich mir Fehlverhalten als Mama noch öfter durchgehen“ …. und so weiter und so fort.

Spannender Weise haben die Studien von Kristin Neff zu diesem Thema das genaue Gegenteil hervorgebracht. Es ist keinesfalls so, dass Selbstmitgefühl uns schwach, faul oder passiv macht. Menschen, die selbstmitfühlend sind erreichen viel besser und eher ihre Ziele, als Menschen, die sich innerlich negativ antreiben. Selbstmitgefühl bringt uns in Kontakt mit unseren wahren Gefühlen, mit den Mechanismen die dahinter stehen und lässt uns Vertrauen in uns selbst bekommen. Das Vertrauen, dass egal, was passiert, wir für uns da sein werden. Dass wir uns auch bei einer Niederlage nicht fertig machen werden. Dass wir immer auf uns selbst zählen können. Das macht uns zu unserem besten Freund, unserem Verbündeten, unserem Vertrautem und bringt eine enorme Kraft hervor sich aus dieser Akzeptanz heraus auch offen den schwierigeren Teilen zu widmen. Herausforderungen anzugehen. Eigentlich ist es ganz logisch. Angst ist einfach ein schlechter Motivator. Wenn wir Angst haben zum Beispiel beruflich zu Scheitern, dann landen wir in einem Vermeidungsverhalten, wir tun einfach alles, um bloß nicht zu scheitern, um bloß nicht unsere eigene richterliche Stimme über uns donnern zu hören. Wenn wir im Selbstmitgefühl sind ist das anders. Dann wissen wird, dass wir Scheitern dürfen, dass wir Risiken eingehen dürfen, dass wir für uns da sind und wir immer einen Weg finden werden, auf dem wir weitergehen können. Es ist leichter den eigenen Schwächen ins Auge zu sehen und an ihnen zu arbeiten, wenn wir jemanden haben, der in all dem an unserer Seite ist. Der uns Respekt und Anerkennung entgegen bringt dafür, dass wir auf dem Weg sind, im Prozess sind, der uns tröstet, wenn ein Rückschlag da ist und der mit uns feiert, wenn es was zu feiern gibt. Und dieser jemand können wir uns selbst sein.

Vom Selbstmitgefühl zur Selbstliebe

Auf diese Weise führt Selbstmitgefühl zu Selbstvertrauen, Selbstfreundschaft und letztlich zur Selbstliebe, es ist ein Prozess, den es sich lohnt zu gehen. Darüber hinaus macht uns das Selbstmitgefühl weitestgehend frei von dem ewigen Streben nach Anerkennung und Lob von Außen. Wenn wir uns selbst Beistehen können, mit uns Lachen, Weinen, Tanzen können, dann ist es nicht mehr ganz so wichtig, ob die anderen das gerade mit uns tun. Natürlich tut uns das dennoch gut, aber der ausschlaggebende Teil wohnt dann in uns und nicht im Außen. Du hast dann praktisch deinen eigenen Coach immer bei dir, anstatt eines schreienden Drill-Kommandeurs – ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich so viel schöner leben lässt.

Keine Kommentare on Superpower Selbstmitgefühl

BEITRAG KOMMENTIEREN